Wie der Nordsee Strand entstand
Ina und Jannick wohnen auf der schönen Nordseeinsel St. Peter Ording. Sie kennen sich bereits ihr ganzes Leben und das ist schon eine halbe Ewigkeit, denn beide sind 10 Jahre alt und gehen sogar in die gleiche Klasse. Sie sind wirklich gute Freunde, es gibt kaum einen Tag an dem sie nicht etwas zusammen unternehmen. Jannick ist klein für sein Alter, seine Haare sind schmutzig blond und er ist eher ein ruhiger Junge. Ganz anders hingegen ist Ina. Sie hat kurze schwarze Haare mit einem eher kräftigen Körperbau und ist wild wie sonst was. Ina hat zu allem ihre ganz eigene Meinung und scheut sich auch nicht diese kundzutun.
Es war an einem unfassbar heißen Sommernachmittag in den Ferien. Den ganzen Tag über hatte die Sonne so heiß auf die Insel geschienen, dass sogar der Straßenasphalt begann weich zu werden und das sollte was heißen, denn bereits gestern Abend hatte Ina in ihr Tagebuch geschrieben, dass es der heißeste Tag war, den sie je erlebt hätte. Bei dem Gedanken musste sie schmunzeln, weil Jannick gestern behauptet hatte er fühle sich wie eine Luftmatratze, die den ganzen Tag in der Sonne lag. Ina starrte an die Decke ihres Kinderzimmers an der ein großer Anker Aufkleber angebracht war, sie langweilte sich heute und das machte ihr ganz schön schlechte Laune. Sie überlegte ob sie Jannik fragen sollte ob sie nicht eine Radtour machen sollten, aber allein bei dem Gedanken daran in der Hitze in die Pedale zu treten entschied sie sich dagegen.
Unten hörte sie Mama rufen was sie zum Abendbrot machen solle, denn sie würde gleich noch mal zum Einkaufen gehen. Ihre kleine nervige Schwester Marie schrie wie aus der Pistole geschossen: „Fischbrötchen!“ – Bah Fischbrötchen, Marie wollte immer nur Fischbrötchen. Sie könnte mit Jannik ein Picknick am Strand machen aber na ja, das war auch irgendwie langweilig. Schlecht gelaunt malte Ina weiter an ihrer Seerobbenskizze. Plötzlich hörte sie ein leises Knacken aus ihrem Walki-Talki und bald darauf hörte sie Janniks Stimme: „Seeadler an Raubfisch, Seeadler an Raubfisch, bitte kommen“, „Hier Raubfisch, ich höre“, antwortete Ina. Sie hatten sich das aus einigen Militär Filmen abgeschaut. Wie sollte es auch anders sein, Jannik langweilte sich auch fürchterlich und so beschlossen die beiden sich nach dem Abendbrot zu treffen und angeln zu gehen.
Die Zeit wollte nicht vergehen doch endlich, nachdem Ina ihrer Mutter nach dem Abendbrot beim Abräumen des Tisches geholfen hatte, holte sie ihre Angelausrüstung und sauste nach draußen. Sie schnappte sich ihr Feuerrotes Fahrrad, schwang sich auf den Sattel und trat in die Pedale. An der Straßenecke nahe dem Waldgebiet wartete auch schon Jannik auf sie und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Sie fuhren schnell, sodass der Wind erfrischend in ihren Haaren wuselte vorbei an der kleinen Alle neben der Wiese, dem alten Marktplatz hinunter zum Strand bei den verlassenen Ferienhäusern. Denn dort war es nicht nur etwas gespenstisch, wie die alten Ferienhäuser dahin rotteten mit abgeplatzter Farbe und eingeschlagenen Fenstern, sondern dort lag auch ihr geheimes Segelboot, das sie vor einigen Jahren zufällig entdeckt hatten.
Inas schlechte Laune war inzwischen gänzlich verschwunden. Sie roch das Salzwasser, hörte das Kreischen der Möwen und spürte den Sand zwischen ihren Zehen. Hier fühlte sie sich wohl: „Hast du gemerkt, dass wenn man ganz lange in den Sonnenschein starrt, die Sonne aussieht wie ein Vollmond?“, „Das ist doch Quatsch“, sagte Jannik, nur um das gleich mal auszuprobieren. Gemeinsam zogen sie das kleine und in die Jahre gekommene Boot den Strand entlang und sie hatten Glück, denn es war gerade Flut was es einfacher machte das Boot zu Wasser zu bringen. Das Wissen der Schifffahrt war den dortigen Insulaner in die Wiege gelegt. Und obwohl die beiden Freunde St. Peter Ording von ihrer Geburt an kannten und so oft sie wollten ans Meer gehen konnten, hatte das Wasser für sie nichts an ihrer Schönheit und den Zauber verloren. Nachdem die beiden geschickt die Sandbank umfahren hatten, fuhren sie weiter hinaus aufs Meer. Der Wind wehte nur leicht und der Himmel war klar. Das war wichtig, denn obwohl Jannik das Meer mindestens genauso liebte wie Ina, war er doch etwas wasserscheu. Doch solange er die Küste in nicht allzu weiter Ferne sehen konnte, war er entspannt.
Als sie eine geeignete Stelle gefunden hatten warfen sie ihre Angelruten aus und machten es sich mit einer Tüte Gummibärchen und Limonade gemütlich und fühlten sich wie echte Seemänner bzw. Seefrauen. Nach zwei Stunden waren die beiden ziemlich enttäuscht, denn es hatte noch immer nichts angebissen. Ina kontrollierte regelmäßig die Köder, aber es geschah einfach nichts, dabei hatte sie schon so manchen Fisch geangelt. Als Ina zu Jannick hinüberblickte sah sie, dass er eingeschlafen war. Das war nichts neues, denn Jannik konnte überall schlafen und auch sie selbst merkte wie ihre Augenlider immer schwerer wurden. Als sie erwachte sah der Himmel gar nicht mehr so friedlich aus. Er schien orange und wolkenverhangen und die Luft stand und knisterte wie elektrische Teilchen. Sofort weckte sie Jannik und auch er erkannte sofort die Gefahr. Voller Schrecken stellten sie fest, dass sie die Küste gar nicht mehr richtig erkennen konnten, sie wirkte nur noch schemenhaft, offensichtlich hatte das Boot sie viel zu weit nach draußen gebracht.
Und da ging das Gewitter auch schon los. Erst ein Grollen dann ein Wind der Ina an einen Orkan denken ließ. Schon sauste ein lautes Donner hinunter und erste Blitze zuckten am Horizont. Das war nicht gut! Das war ganz und gar nicht gut! Sie waren in echter Gefahr und nun gerieten sie in Panik. Jannik und Ina hatten beide ihren Eltern nicht gesagt, wohin sie gingen, wer sollte sie nun retten? Mit einem Mal hörten sie eine tiefe Stimme neben dem Boot, sie sahen sich erst erschreckt an und dann neben das Boot. Da war ein großer Fisch, ein Steinbeißer besser gesagt. Und du meine Güte dieser konnte sprechen: „He ihr Menschenkinder, was macht ihr denn hier, wisst ihr nicht, dass ihr in großer Gefahr seid? Habt keine Angst, ich bin ein besonderer Fisch, darum könnt ihr mich auch verstehen.“, „Wir sind wohl eingeschlafen“, sagte Ina mit zittriger Stimme. „Ah bei allen guten Seesternen, das war sehr dumm von euch, aber nun gut ich will euch helfen heil zurück an euer Menschenland zu kommen.“ Gesagt, getan. Mit erstaunlicher Kraft sog der Fisch die Luft ein und stieg auf magische weise die Luft so aus, dass kleine Steine, Luft und Algenreste mit Sturmartiger Kraft das Boot in Bewegung setzte und Richtung Küste schob. Ina und Jannik wussten gar nicht wie ihnen geschah und klammerten sich mit beiden Händen am Boot fest. Dies wiederholte der Steinbeißer unaufhörlich, bis sie sich so weit dem Strand näherten, dass sie sich selbst helfen konnten. Mit einem Husten und Würgen spie der Steinbeißer einen großen Schwall voller Sand aus und sagte zu den Kindern: „Seht ihr den weiten Strand, das waren alles Vorfahren von mir die unvernünftigen Kinder aus dem Wasser gerettet haben“, und er gluckste leise in sich hinein. Ina und Jannik war es, als ob sie noch unter Schock standen und waren unendlich erleichtert wieder Sand unter den Füssen zu haben.
Trotz des Schreckens vergaßen sie nicht ihr gutes Benehmen. Sie bedankten sich unzählige Male bei dem guten Steinbeißer, dass er sie gerettet hatte. Der Fisch deutete eine Verbeugung an, winkte noch einmal mit der Flosse und war genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Trotz des Gewitters machten die beiden sich auf den Heimweg, wobei sie darauf achteten, nicht unter Bäumen zu laufen. Und zum Glück schafften sie es heil nach Hause. Ihre Eltern waren entsetzt als sie jeweils klitschnass bei sich zu Hause ankamen. Sie hatten beschlossen niemanden etwas von dem guten Steinbeißer zu erzählen, glauben würde ihnen das eh keiner, doch vergessen würden sie ihn nie. Und sie würden in Zukunft ihren Eltern immer sagen, wohin sie gingen.
Jedes Mal, wenn sie von nun an am Strand waren, dachten sie an den Steinbeißer, seine Vorfahren und die geretteten Kinder. So also kam die Nordsee zu ihrem Strand.