Das Geheimnis der Seepferdchen Insel

Es begab sich zu der Zeit der gewaltigen Stürme und des endlosen Regens. Das nordfriesische Wattenmeer war geprägt von einer Wildheit, die nur durch die Schaurigkeit der Monster der See übertroffen wurde. Die Inseln wechselten immer wieder ihre Gesichter je nach Laune der Sturm. So wurden hier ein Stück Land abgebissen, dort wuchs eine Insel höher und so manche versank sogar ganz und zurück blieben nur winzige Sandbänke.

Zu dieser Zeit lebte eine alte verbitterte Frau auf der Marschinsel. Nicht viele Menschen wagten es so eine Hallig zu bewohnen, noch dazu da es kein natürliches Trinkwasser gab. Die Arbeit war schwer und die Mühsal groß. Jeder Hallig-Bewohner kannte die garstige Alte und mieden sie so gut es ging, denn sie war nicht nur von übellauniger Natur, sondern geradezu streitlustig. Es verging kaum ein Tag an dem sie nicht einen Nachbar beschimpfte oder gar die Kinder mit lautem Gezeter von der Straße jagte. Ja man kann wohl zu Recht sagen, dass diese alte Frau, dessen Name Hilka war, niemand war den man gerne in seiner Nähe hatte.

Es ward wohl um die Mittagsstund als Hilkas Laune einen erneuten Tiefpunkt erreicht hatte. Sie war es leid das Gras zum Trocknen aufzuschichten, um Heu daraus zu machen und Kartoffeln zu ernten. Sie gab einen Seufzer von sich und begab sich in ihr kleines Haus. Sie setzte sich mit einem heißen Tee an den kleinen abgewetzten Holztisch und starte auf ein altes Bild ihres längst verstorbenen Mannes. Sie waren glücklich gewesen damals, auch wenn es hart war. Während er zum Walfang auf See war, filterte sie das Salz der Insel. Lange Zeit war sie alleine während er fort war, denn sie hatten keine Kinder. Und irgendwann kam ihr Mann einfach nicht wieder vom Walfang. Es war, als ob die See ihn verschluckt hätte und nie wieder zurück gab. Sie war das alles so leid. Und nicht zum ersten Mal fragte sie sich ob es nicht eine Gnade wäre sich selbst ins Meer zu stürzen. Heute war ein ganz besonders grauer Tag für sie. Voller Wut im Bauch und einer Bitterkeit auf der Zunge ging sie hinunter zum Strand. Sie wusste nicht wohin mit ihrer Wut und begann wahllos Steine ins Meer zu werfen. Je größer, je besser. Und dabei verfluchte sie die See mit all ihren Bewohnern und schrie ihren ganzen Hass auf das Meer hinaus. Mit einem Mal war es, als ob eine Stille sich an einem gewissen Punkt in den Wellen legt und sowohl Blasen als auch Rauch schwemmte an die Oberfläche. Rauch im Wasser, das gab es doch gar nicht wie ist so etwas möglich? Hilka starrte wie gebannt auf die Stelle und konnte sich nicht vom Fleck rühren. Mit einem Mal stach ein metallic blitzender spitzer Gegenstand aus dem Wasser ähnlich einer Strickgabel und dem folgte ein langer Stiel, so wie ein Spaten an einer Schippe. Doch alsbald erhob sich aus dem Wasser ein fast ulkiges Tier, wenn es nicht so bedrohlich gewirkt hätte. Es sah aus wie ein großes Seepferdchen mit einem Helm auf dem Kopfe, es mutete kriegerisch an. Zum großen Schrecken Hilkas öffnete der Krieger seinen fischartigen Mund und begann mit lauter, tiefer Stimme zu sprechen: „Hilka, der König der Seepferdchen hat deine Verfluchungen gehört, deine Schimpf und Schande und zu allem Übel hast du gerade einen Fisch mit einem Stein den Schädel eingeschlagen. Schrecken ergriff Hilka und sie rief mit zittriger Stimme: mein Herr ich habe keinen Fisch erschlage. Ach sagt an, habt ihr nicht so eben Steine ins Meer geschleudert?“ Nun war sie erschreckt, denn sie hatte gar nicht darüber nachgedacht, dass ein Stein einen Meeresbewohner hätte treffen können. Immer noch versteinert wie eine Puppe starrte Hilka den Krieger mit offenem Mund an: „Wohl an Hilka, du wirst nun mit mir kommen und dich für deine Tat vor dem Seepferdchen König verantworten müssen.“

Gleich nachdem er diese Worte gesprochen hatte, bildete sich eine Luftblase um Hilka die sie ganz umgab. Diese umspannte sie und hob mit ihr in die Luft geradewegs zu dem Krieger. Ihre Hände waren gefesselt mit einem Seil aus Seetang und spätestens jetzt wurde ihr die schreckliche Situation ihrer Lage bewusst. Zusammen mit dem Seepferdchen Krieger wurde sie in ihrer Luftblase unter Wasser gezogen in die Tiefen des Meeres. Tiefer und immer noch tiefer in einer rasenden Geschwindigkeit. Es kam ihr vor, wie ein oder zwei winzige Wimpernschläge schon standen sie vor einem wunderschönen Palast. Dieser war geschmückt aus den prächtigsten Muscheln und allerlei wundersamen Steinen. Dieser Palast wirkte so prächtig, dass sich ein jeder König danach verzehren würde. Nachdem sie durch einige verwinkelte Hallen und Wege des Palastes gegangen waren kamen sie zu einer großen Halle die vor Schönheit nur so strahlte. Weit am anderen Ende der großen Halle stand ein kostbar geschnitzter Thron aus Perlmutt der nur so glänzte. Auf dem Thron saß ganz offensichtlich der König dieses Reiches. Ein Seepferdchen der schönsten Farbe und Musterung mit einer überwältigenden Krone auf dem edlen Haupt. Der Krieger geleitete Hilka in ihrer Luftblase zum König und verbeugte sich demütigst vor ihm. Der Seepferdchen König schickte seine Angestellten und Freunde hinaus und lies nur die Hofwachen bei sich: „Soso du bist also Hilka die die den Fisch erschlug, gestehst du deine Mördertat?“

Hilka die allen Mut verloren hatte war in Tränen ausgebrochen gestand ihre Tat, wobei sie zu bedenken gab, dass es nicht ihre Absicht gewesen war den armen Fisch zu erschlagen. Auch brach all der jahrelange Kummer aus ihr heraus und sie berichtete dem König von ihrem Leben dem Verlust ihres Mannes und wie sie zu einer verbitterten Frau wurde. Nun muss man nicht denken, dass der Seepferdchen König kein Herz hätte. Er war schon viele Jahrtausende der Herrscher der Nordsee und hatte viel gesehen in seinem Leben. Doch zweifelsohne war Mord nun mal Mord und der arme Fisch hatte eine Frau und 172 Kinder und auch sie hatten ein Recht auf Vergeltung. Der Seepferdchen König war lange Zeit sehr still und starrte in die Ferne. Keiner der Anwesenden traute sich ihn dabei zu stören. Es schien, als ob der König mit seinen Gedanken unendlich weit weg wäre. Nach einer ganzen Weile gab er sich einen Ruck und erfasste das Wort: „Nun denn Hilka, ich sehe wohl das du kein leichtes Leben an der Oberfläche hattest doch trotz alledem muss ich dich für deine Tat bestrafen.“ Dabei sah der König nicht böse oder verbissen aus, sondern eher gutmütig: „Von heute an bis zu dem Tage, an dem du den großen Haifisch gegenüber stehst sollst du eine Hüterin der Tiere sein. Du wirst Acht geben auf die Meeresbewohner und auch auf die Tiere der Halligen. Ich habe gute Kontakte zu den Seevögeln, sie sind meine Beobachter an Land. Sei dir also stets bewusst das ich dich im Blick behalte und bedenke welch Ehre es ist auf meine Freunde aufzupassen und das Meer zu schützen.“

Ehe Hilka es sich versah, schwand der König, der prächtige Palast mit seinen Soldaten vor ihren Augen und sie erwachte bei sich zu Hause. Die Bettdecke fest umklammert kam sie zu sich und dachte welch ein seltsamer Traum. Doch in genau diesem Moment klopfte etwas leise an ihr Fenster. Sie erschrak hastete zum Fenster und öffnete es. Dort stand ein kleines rotes Eichhörnchen was sie freundlich ansah. Hilka, mach schnell am Strand sind Quallen, die es nicht zurück ins Meer schaffen. Meine Güte ich kann dich verstehen rief sie aus. Das Eichhörnchen kicherte und Hilka rannte zum Strand so schnell ihre Füße sie tragen konnten. Dort rettete sie alle Quallen und beim großen Haifisch, es fühlte sich gut an. Fort an verstand sie die Tiere und war jeden Tag glücklicher, da sie nicht mehr einsam war.

Als Zeichen dieses Bundes mit dem Seepferdchen König hat die Insel Wangerooge heute noch die Form eines Seepferdchens.

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